In Deutschland leben 2,9 Millionen Einelternfamilien – damit ist fast jede fünfte Familie alleinerziehend. Alleinerziehende haben ein überproportionales Armutsrisiko von 41 Prozent. Der Alltag von Alleinerziehenden ist von einer Vielzahl an Herausforderungen geprägt. Alleinerziehende Elternteile müssen alle Belange der Familie allein abdecken: Das Familieneinkommen erwirtschaften und zugleich die gesamte Fürsorgearbeit leisten. Ihre zeitlichen Ressourcen für Erwerbs- und Carearbeit stehen in einem anhaltenden Spannungsverhältnis.
Die gegenwärtige Wohnungsmarktkrise trifft sie besonders hart: Alleinerziehende sind häufig durch die Wohnkosten ökonomisch überlastet, leben mit ihren Kindern in beengten Wohnverhältnissen und erleben die Suche nach einer neuen Wohnung als nahezu aussichtslos. Bei der Wohnungssuche erfahren sie häufig Diskriminierungen und Unterstellungen, wodurch sie gegenüber Einpersonenhaushalten, Paaren oder Paarfamilien benachteiligt werden. Es fehlt nicht nur an bezahlbarem Wohnraum für Familien mit kleinen Einkommen. Es fehlt überhaupt an Wohnungen – und vor allem an Wohnungen, die im Zuschnitt und mit guter Infrastruktur im Wohnumfeld den Bedarfen von Einelternfamilien gerecht werden.
Neben kluger Quartiersentwicklung hin zu einer „15-Minuten-Stadt“ können gemein-schaftliche Wohnformen für Einelternfamilien einen Mehrwert darstellen. In solchen Wohnprojekten leben Personen in unterschiedlichen Lebensformen langfristig, zumeist selbstorganisiert und über familial-verwandtschaftliche Bezüge hinaus, zusammen. Sie unterstützen sich wechselseitig und teilen, ergänzend zu privaten Wohnräumen, Flächen und Räume. Alleinerziehende können in Wohnprojekten verlässliche Unterstützung finden bei der Betreuung der Kinder sowie niedrigerer Wohnkosten und kostenschonenderes Wirtschaften aufgrund von z.B. gemeinsam genutzter Räume und dem Teilen von Gebrauchsgegenständen. Gemeinschaftliche Wohnformen erleichtern Alleinerziehenden den Familienalltag und verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Heitkötter 2023). Einelternfamilien mangelt es häufig jedoch an finanziellen und zeitlichen Ressourcen, um sich bei der Entwicklung solcher Projekte zu engagieren.
Zur Entspannung der Wohnungsmärkte allgemein sind Maßnahmen notwendig, wie etwa eine geschärfte Mietpreisbremse, der Neubau dauerhaft belegungsgebundener Wohnungen und eine neue Wohngemeinnützigkeit, die ein relevantes Segment des Wohnungsmarktes erfasst. Darüber hinaus braucht es zusätzliche Maßnahmen speziell für Alleinerziehende zu deren Unterstützung und Verbesserung ihrer Situation am Wohnungsmarkt.
Die Politik muss den Zugang zu Wohnraum für Alleinerziehende verbessern. Eine den Bedarfen von Alleinerziehenden entsprechende Wohnung in einem sicheren Mietvertragsverhältnis, bietet einen stabilen Rückzugsort und fördert das psychische Wohlbefinden des alleinerziehenden Elternteils und der Kinder.
Eine Wohnung in einer sicheren Wohnumgebung mit kurzen Wegen – Stichwort 15-Minuten-Stadt -, ist zentrale Bedingungen um den verdichteten Alltag zu bewältigen. Oft finden Alleinerziehende solche Rahmenbedingungen bisher jedoch nicht in für sie bezahlbaren Lagen. Häufig gelingt es Alleinerziehenden nur, eine Wohnung in den Außengebieten der Städte zu ergattern. Fahrzeiten zwischen Wohnort, Arbeitsstelle und Schulen verlängern sich. Kinder müssen ggfs. Schulen wechseln und neue Freund:innen finden. Für das alleinerziehende Elternteil können durch einen Wegzug aus der bisherigen Wohnumgebung soziale Kontakte und langjährig aufgebaute Unterstützungsstrukturen bei der Carearbeit wegbrechen. Immer häufiger leben Frauen mit Kindern weiter unfreiwillig mit dem Ex-Partner zusammen, auch wenn sie von schwierigen Familienverhältnissen oder sogar von Gewalt betroffen sind. Da muss sich dringend ändern.
Spezielle Förderprogramme zur Schaffung von Wohnraum für Alleinerziehende müssen durch die Politik aufgesetzt werden. Für bestimmte Gruppen, wie z.B. Studierende, Azubis oder behinderte Menschen existieren in Bundesländern (z.B. NRW) Sonderförderprogramme. Eine ähnliche Hilfestellung sollte auf Alleinerziehende als Zielgruppe übertragen werden, damit die notwendigen Anreize für Investoren gesetzt werden, bedarfsgerechte Wohnungen für Einelternfamilien zu errichten.
Alleinerziehende mit ihren Kindern sind bei der Vergabe von gefördertem Wohnraum vorrangig zu berücksichtigen. So für sie die Chance am Wohnungsmarkt erhöht auf ein sicheres und stabiles Zuhause.
Damit ein umfänglicher gemeinnütziger Sektor sich preisdämpfend auf den gesamten Wohnungsmarkt auswirkt, sind auch Alleinerziehende als besondere Zielgruppe einer neuen Wohngemeinnützigkeit zu definieren. Ein Wohngemeinnützigkeitsgesetz auf Bundesebene sollte nicht nur Steuererleichterungen auf die Vermietung von Wohnraum an Alleinerziehende deutlich unter marktüblichen Mieten vorsehen, sondern auch Förderungen für den Neubau bzw. den Umbau oder Modernisierungen im Bestand.
Alleinerziehende, die sich in akuten Trennungssituationen befinden oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, benötigen kurzfristig verfügbaren und bezahlbaren Übergangswohnraum. Übergangswohnungen, z.B. in Form von Gruppenwohnungen, sollten flächendeckend verfügbar sein, damit Alleinerziehende und ihre Kinder in ihrem vertrauten Wohnumfeld bleiben können. Dafür müssen der Aufbau und das Vorhalten von Übergangswohnungen durch kommunale und soziale Träger deutlich forciert werden.
Die Anbieter von digitalen Wohnungsbörsen und Social-Media-Plattformen sind für die Bedarfe von Alleinerziehenden am Wohnungsmarkt zu sensibilisieren. In digitalen Wohnungsbörsen und auf Social-Media-Plattformen könnten Wohnungsangebote für und Wohnungsgesuche von Alleinerziehenden sowie Angebote zum Wohnungstausch in eigenen Rubriken veröffentlicht werden. Mit Hilfe von sogenannten Matchingfunktionen könnte eine Vernetzung gleichgesinnter Alleinerziehender, mit Interesse an gemeinsamem Wohnen, vereinfacht werden. Die Politik muss solche Aktivitäten für Alleinerziehende fördern und unterstützen.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist mit Blick auf Diskriminierung von Allein- erziehenden weiterzuentwickeln. Das AGG gilt auch für den Wohnungsmarkt. Bisher sind Alleinerziehende aber vom Diskriminierungsschutz ausgeschlossen.
In der Praxis gibt es für von Diskriminierung Betroffene hohe Hürden, wenn sie ihre Rechte nach dem AGG durchsetzen wollen. Das Bestehen einer Diskriminierung muss umfassend nachgewiesen werden und die bisher geltenden zwei Monate sind aus Sicht der Betroffenen zu kurz, um Ansprüche geltend zu machen. Hinzu kommt: In der Rechtsprechung haben sich sehr geringe Entschädigungen etabliert, so dass sich eine Klage angesichts der damit verbundenen Kosten und finanziellen Risiken kaum lohnt. Gerade Alleinerziehende haben bei einem akuten Wohnungsnotfall nicht die Kraft und die Kapazitäten, noch ein Verfahren gegen Diskriminier-ung anzustrengen. Das AGG sollte dahingehend reformiert werden, dass es auch Alleinerziehenden niedrigschwelligen Schutz vor Diskriminierung am Wohnungsmarkt bietet.
Der Katalog der diskriminierungsrelevanten Merkmale in § 1 AGG muss um die Familienform bzw. das Alleinerziehendsein und den sozioökonomischen Status erweitert werden. Die Benachteiligung von Alleinerziehenden am Wohnungsmarkt hängt oft unmittelbar mit ihrer Familien- und Einkommenssituation zusammen.
Die Möglichkeiten zur Durchsetzung der eigenen Rechte müssen im AGG für Betroffene von Diskriminierung gestärkt werden. Dafür sollte das Verbandsklagerecht auf Klagen zum AGG ausgeweitet werden. Außerdem sind die Hürden zu senken, um Diskriminierungen zu
beweisen und die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen zu verlängern. So werden mehr Betroffene in die Lage versetzt, ihre Rechte einzufordern und entsprechende Präzedenzfälle geschaffen.
Es braucht deutlichere Konsequenzen für Vermieter, die alleinerziehende Familien
diskriminieren. Schärfere Sanktionen können abschreckend wirken und mehr Betroffene motivieren, ihre Rechte tatsächlich durchzusetzen. Auch der Anwendungsbereich des AGG sollte ausgeweitet werden: Aktuell greift das AGG nur für Vermieter mit mehr als 50 Wohnungen.
Es muss sichergestellt werden, dass Alleinerziehende bei Diskriminierung am Wohnungsmarkt auf ein flächendeckendes Netz von Antidiskriminierungsberatungsstellen zurückgreifen können. Alleinerziehenden fehlt während der Wohnungssuche die Zeit, um sich zusätzlich mit dem Diskriminierungsschutz zu beschäftigen oder lange Wege zu Beratungsstellen auf sich zu nehmen. Die Sensibilisierung der Mitarbeitenden der Servicestellen ist durch gezielte Maßnahmen, wie z.B. Fortbildungen, voranzubringen.
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