Mit dem Aufbau der ersten bundesweiten Rechtshotline Familienrecht unterstützt die Stiftung Alltagsheld:innen gezielt Alleinerziehende. In der Hotline beraten Rechtsanwält:innen kostenfrei zu Fragen im Unterhalts-, Sorge- und Umgangsrecht. Eine von ihnen ist die Kindschaftsrechtsexpertin Karola Rosenberg. Wir haben sie zum Interview eingeladen.
Frau Rosenberg, Sie sind als Rechtsanwältin spezialisiert auf Kindschaftsrecht und beraten seit Mai 2022 in der Rechtshotline Familienrecht viele Alleinerziehende. Mit welchen Fragen und Problemstellungen wenden sich die Hilfesuchenden an die Hotline?
Die meisten drehen sich um das Sorgerecht, Umgangsrecht und den Unterhalt. Die Unsicherheit ist groß und damit auch der Beratungsbedarf. Die Ratsuchenden kann man in zwei Gruppen einteilen. Die einen sind unmittelbar vor oder gerade frisch in einer Trennungssituation und wissen nicht, welchen Schritt sie zuerst tun sollen, was ihre Rechte und Pflichten sind und an wen sie sich wenden können. Die anderen befinden sich bereits in einer sehr streitigen gerichtlichen Auseinandersetzung und fühlen sich dem Verfahren hilflos ausgeliefert. Diese suchen meist eine Zweitmeinung, wobei es hier in aller Regel um sorge- und umgangsrechtliche, aber häufig auch um verfahrensrechtliche Fragen geht.
Welche Relevanz hat Ihrer Meinung nach die Rechtshotline Familienrecht der Stiftung als kostenfreies Beratungsangebot für Alleinerziehende?
Das Angebot der Hotline ist absolut wichtig und richtig. Alleinerziehende befinden sich häufig ohnehin schon in einer finanziell prekären Situation und sind durch die Kombination aus Care- und Erwerbsarbeit belastet. Die Angst vor den Kosten einer anwaltlichen Beratung hält viele davon ab, sich anwaltliche Hilfe zu suchen. Das führt zu immer größerer Hilflosigkeit und daraus resultierend einer immer größeren Verzweiflung. In den 30-minütigen Gesprächen kann man oft bereits einen ersten Handlungsleitfaden festlegen und Unterstützung wie Elternberatungen empfehlen. Wir verweisen z.B. auf die Möglichkeit, den Kindesunterhalt per Beistandschaft des Jugendamtes regeln zu lassen. Oder die Möglichkeit, einen Rechtsberatungsschein beim Amtsgericht und Verfahrenskostenhilfe zu beantragen, damit die Kosten der Rechtsverfolgung ganz oder teilweise vom Staat übernommen werden.
Die Ausgestaltung der Betreuung gemeinsamer Kinder nach Trennung wird immer häufiger auch mit rechtlichen Mitteln bis hin zu Gerichten ausgetragen. Was glauben Sie, woran das liegt?
Zum einen verändert sich das gesellschaftliche Rollenverständnis. Väter wollen nicht mehr nur Wochenendväter und Versorger sein und Mütter sind nicht mehr bereit, die Care- und Erwerbstätigkeit allein zu stemmen. Mit der Möglichkeit, das Wechselmodell* durchzusetzen und den damit verbundenen unterhaltsrechtlichen Aspekten, verschieben sich Diskussionen aus dem Unterhaltsrecht in das Umgangsrecht. Das führt naturgemäß zu einem erhöhten Verfahrensaufkommen bei den Umgangsverfahren, da diese von einer ergänzenden Motivation, dem finanziellen Aspekt, getragen werden.
Welche Auswirkungen haben solche Verfahren nach Ihrer Beobachtung auf das Verhältnis zwischen den Eltern und auf die involvierten Kinder?
Eine frühzeitige verbindliche Klärung der umgangs- und unterhaltsrechtlichen Streitpunkte bringt aus meiner Sicht schneller klare Verhältnisse und kann eine fortgesetzte Frustration und Grenzverletzung, Nachtrennungsgewalt und damit verbundene Eskalation verhindern. Hochstreitige kindschaftsrechtliche Verfahren hingegen führen, vor allem wenn es keine klare gerichtliche Verfahrensführung und Regelung gibt, zu einer deutlichen emotionalen Gefährdung der Kinder. Die endlose Verweisung auf Beratungsstellen, das zigste Gutachten bringen in diesen Fällen keine Lösung, sondern wirken konfliktverschärfend. Elternkonsens lässt sich mit rechtlichen Mitteln nicht erzwingen. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Lösung gibt. Die Lösung liegt in klaren, ausgewogenen Entscheidungen von Gerichten, die den Eltern helfen, Grenzen zu erkennen und Grenzen zu setzen. Dadurch wird der elterliche Konflikt zwar nicht gelöst. Klare Grenzen und Regelungen eröffnen aber für die Kinder und auch die Eltern die Chance, wieder zu atmen, ohne dass jede Bewegung als Munition für das nächste Verfahren und die nächste Beratung verwendet wird.
Welche Veränderungen bräuchte es Ihrer Meinung nach, damit die Belastungen für die Kinder und die alleinerziehenden Elternteile sinken?
Fortbildung, Fortbildung und noch mehr Fortbildung für die beteiligten Fachakteure – und damit verbunden die Umsetzung der bestehenden gesetzlichen Grundlagen und höchstrichterlichen Rechtsprechung, Grundverständnis für entwicklungspsychologische Zusammenhänge auf der Ebene der familiengerichtlichen Auseinandersetzung. Kindschaftsrecht ist das ungeliebte Stiefkind des Familienrechts. Es ist „messy“, es ist anstrengend, emotional belastend, häufig mit sehr hohem Beratungsbedarf verbunden und wird für Anwälte oft schlecht bezahlt. Ich kann daher betroffenen Eltern nur empfehlen, sich sehr gut zu informieren und sorgfältig mit ihren emotionalen, den finanziellen und physischen Ressourcen umzugehen, damit sie die Kraft haben, die Bedürfnisse ihrer Kinder wahrzunehmen und die bestmögliche Lösung für ihre Trennungsfamilie zu finden.
Frau Rosenberg, vielen Dank für das Gespräch.
*Beim Wechselmodell leben die Kinder jeweils die Hälfte der Zeit bei beiden Elternteilen.