Data for Policy: Eine Studie in Kooperation mit der Hochschule Düsseldorf zur Lebenssituation von migrantischen Alleinerziehenden in NRW soll Daten als Grundlage für Empfehlungen an die Politik liefern
Kim hält inne, sie sinkt in die Lehne ihres Plastikstuhls. Sie hat sich in Rage geredet, aber diese Frage gönnt ihr eine Pause. „Ich würde sehr gerne wieder Lehrerin sein.“ Sie lacht verlegen: „Ich habe das sogar mal geträumt: ich stand in einem Klassenzimmer. Hier in Berlin.“
Der Traum liegt lange zurück – und er hat sich nicht erfüllt. Als Kim nach Deutschland kam, dachte sie, es sei einfach, eine Arbeit zu finden – vielleicht sogar als Lehrerin. Doch einfach, das zeigt Kims Geschichte, ist gar nichts für eine alleinerziehende Migrantin aus Vietnam.
Kims Geschichte ist die eines Spießroutenlaufs. Sie erzählt von Behördengängen und dem Gefühl, dass ihr immer wieder Steine in den Weg gelegt werden – als alleinerziehende Mutter, als Migrantin, als Arbeitskraft. Deutsche Bürokratie – das ist vor allem Papier für sie. Stapelweise Papier. „Praxis und Deine Erfahrung zählen nix“, sagt sie. Und nach all den Jahren hat sie verstanden: Auch Papier kann diskriminieren. Es kann dir das Gefühl geben: Du gehörst nicht dazu.
Mehrfach-Diskriminierung ist eine Mehrfach-Belastung
Einsamkeit und das Gefühl, abgeschnitten zu sein von der Gesellschaft, in der man lebt, werden für migrantische Alleinerziehende schnell zu ständigen Begleitern. Die Steine, über die Menschen wie Kim stolpern, sind vielfältig und zeigen, dass ein Blick für die Bedarfe dieser Gruppe fehlt. Ein Beispiel: Bei Ämtergängen ist die Sprachbarriere meist die größte Hürde. Bei den wenigsten Behörden gibt es ausreichend geschultes Personal. Sprachkurse, die Deutschkenntnisse vermitteln, werden jedoch nur selten mit paralleler Kinderbetreuung angeboten.
Für das, was Kim erlebt, hat die Sozial- und Geschlechterforschung einen Begriff geprägt: Intersektionale Diskriminierung. Das Zusammenspiel also von gleich mehreren ausgrenzenden und herabsetzenden Strukturen. Mehrfach-Diskriminierung ist eine Mehrfach-Belastung für die betroffenen Personen und es drängt sie oft an den Rand der Gesellschaft.
Dringender politischer Handlungsbedarf
Alleinerziehende mit Migrationshintergrund sind in besonderem Maße von Armut bedroht. Fachkräfte aus Sozial- und Migrationsverbänden sind sich einig, dass dringender politischer Handlungsbedarf besteht. Bis heute mangelt es allerdings an einer belastbaren Datenbasis, die die Situation von migrantischen Ein-Eltern-Familien in all ihrer Differenziertheit widerspiegelt. „Denn es handelt sich um eine sehr diverse Gruppe“, erklärt Sahra Kamali, Flucht- und Migrationsforscherin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Düsseldorf. Einen relevanten Unterschied innerhalb der Gruppe markiert die aufenthaltsrechtliche Frage. Sie ist brisant, denn der Aufenthaltsstatus ist mit dem Familienstatus rechtlich verknüpft. Das hat zur Folge, dass manche Frauen mit ihren Kindern in Gewaltbeziehungen bleiben, denn eine Trennung kann den Verlust des Aufenthaltsrechts für die Mütter zur Folge haben.
Studie will Licht ins Dunkel bringen
Seit dem 1. Mai 2023 werden diese und zahlreiche andere Faktoren nun systematisch untersucht. Die Stiftung Alltagsheld:innen führt in Kooperation mit der Hochschule Düsseldorf eine Studie durch, die das Leben migrantischer Ein-Eltern-Familien ins Zentrum stellt. „Die Studie ist extrem wichtig, da sie Probleme, Bedarfe und vielleicht auch Hoffnungen einer unsichtbaren Gruppe benennt“, erläutert Kasia Kowala-Stamm, Projektleiterin der Studie für die Stiftung. „Relevant ist, dass diese Gruppe auch über Lösungen und Ressourcen verfügt, die noch wenig bekannt sind und die man z.B. durch gezielte Förderung, stärken könnte“, ergänzt Kowala-Stamm. Zu solchen Ressourcen zählen etwa Unterstützungsnetzwerke, die alleinerziehende migrantische Eltern untereinander aufbauen.
„In diesen Netzwerken wird viel darüber gesprochen, wer was anbieten kann. Die Betroffenen organisieren sich untereinander“, sagt Kamali. Dass solche Unterstützungsnetzwerke für alleinerziehende Migrant:innen besonders wichtig sind, betont auch ihr Kollege und studentischer Mitarbeiter Miguel Peixioto Barbosa: „Die meisten Sprachkurse werden ohne Kinderbetreuung angeboten. Denn man geht davon aus, dass der zweite Elternteil den Nachwuchs betreut.“ Bei diesem wie auch vielen anderen Themen ist beobachtbar, dass das System wieder einmal über ein veraltetes Familienmodell stolpert. Ein Problem, von dem alle Ein-Eltern-Familien ein Lied singen können. „Das Bild der Familie in politischen Debatten muss sich ändern und insbesondere Eltern einbeziehen, die nicht den (hetero-)normativen Erwartungen entsprechen“, fordert deshalb Ljuba B. vom Familienbildungszentrum in Neukölln.
Die Stiftung hat in den vergangenen Jahren bereits viel Erfahrung in der Förderung von Projekten gesammelt, die sich an Ein-Eltern-Familien mit Migrationshintergrund richten. Klar ist aber auch: Die Zivilgesellschaft kann dieses Problem nicht alleine lösen. Die Politik muss nachziehen und eine größere Sensibilität für die besonderen Bedarfe dieser vulnerablen Gruppe entwickeln. Genau hierfür soll die Studie eine empirische Grundlage bieten. Erst, wenn die Lebenssituation alleinerziehender Eltern mit Migrationshintergrund systematisch erfasst ist, können wirkungsvolle Maßnahmen entwickelt werden. Um genau das zu ermöglichen und Licht ins Dunkel zu bringen, ist die Stiftung weiterhin auf Spender:innen angewiesen, die diese Studie unterstützen. Spenden Sie hier.