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Neue Studie: Beratungserfahrungen von Alleinerziehenden im Familienrecht

Grafik Kinderhand in Erwachsenenhand

Belastende Umgangsregelungen, intransparente Gerichtsentscheidungen und zu wenig Berücksichtigung von Partnerschaftsgewalt – zu diesem Ergebnis kommt unsere neue Studie in Kooperation mit der Universität Bielefeld, die heute veröffentlicht wurde. Die Kooperationsstudie „Beratungserfahrungen bei Trennung und Scheidung aus der Perspektive von Ein-Eltern-Familien vor dem Hintergrund von Familien- und Kindschaftsrecht“ beleuchtet einen in der deutschen Forschung bisher kaum untersuchten Bereich.

Die Ergebnisse

Befragt wurden ratsuchende Elternteile zu ihren Beratungserfahrungen im Familienrecht, die sich an die Rechtshotline für Alleinerziehende der Stiftung Alltagsheld:innen gewandt hatten. Am häufigsten wurden Fragen zur Regelung des Umgangs (60%) sowie des Unterhalts (52%) als Beratungsanlässe genannt, gefolgt von Regelungen des Sorgerechts (39%) und konfliktträchtiger Beziehung mit evtl. Gewaltvorkommnissen (37%). Die qualitativen Ergebnisse fasst der Forschungsbericht in acht Thesen zusammen und leitet daraus Handlungsempfehlungen ab. Die Befunde dokumentieren eine empfundene Intransparenz familienrechtlicher Entscheidungen sowie einen konfliktär erlebten Zusammenhang von Umgangs- und Unterhaltsrecht. Ebenso werden eine mangelhafte Berücksichtigung von erlebter Partnerschaftsgewalt in sorge- und umgangsrechtlichen Fragen und eine mangelnde systematische Berücksichtigung der Kinder und ihrer Wünsche deutlich. Auffällig sind zudem als unzutreffend erlebte Zuschreibungen gegenüber Müttern durch Gerichte, Jugendämter und Beratungsstellen, die sich auf maskulinistische Narrative beziehen. Beteiligte Fachkräfte scheinen zudem die Vater-Kind-Beziehung zu fokussieren, ohne die Belastbarkeit der Mutter-Kind-Beziehung dabei einzubeziehen. „Überrascht hat uns der Befund, dass die Mutter-Kind-Beziehung von allen Beteiligten als unzweifelhaft belastbar vorausgesetzt wird – auch von den befragten Müttern selbst“, berichtet Studienleiterin Barbara Thiessen, Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Beratung und Geschlecht an der Universität Bielefeld.

Die aus den Ergebnissen abgeleiteten Handlungsempfehlungen betreffen u.a. eine kontinuierliche und selbstkritische Reflexion von Leitbildern zu ‚guter’ Mutter- bzw. Vaterschaft, die verstärkte Schulung und Sensibilisierung des Fachpersonals zu Partnerschaftsgewalt sowie der Vorrang von Gewaltschutz vor Umgangsrechten.

Studienleiterin Thiessen: „Die explorative Kurzstudie gibt Hinweise auf aktuelle Problemlagen und institutionelle Defizite, die nicht zuletzt auf strukturell verankerte Geschlechtermuster zurückzuführen sind. Sie sollte als empirischer Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen gelesen werden.“ Thiessen empfiehlt Forschung z.B. mit stärkerem Fokus auf Kindeswohl sowie Rechtsfolgenforschung ausgehend von den real gelebten Arbeitsteilungsmustern im Familienleben vor Trennung.

Heidi Thiemann, geschäftsführende Vorständin der Stiftung Alltagsheld:innen, ergänzt: „Die Ergebnisse zeigen die hohe Verunsicherung von Alleinerziehenden, ausgelöst durch die bestehende Familienrechts- und Beratungspraxis. Sie bestätigen die langjährigen Erfahrungen von Praktiker:innen und Alleinerziehenden und kontextualisieren sie wissenschaftlich. Die abgeleiteten Handlungsbedarfe sollten Rechts- und Beratungspraxis sowie die Gesetzgebung in ihren Reformvorhaben ernst nehmen.“

Die im Rahmen der Studie evaluierte Relevanz der Rechtshotline verweist auf einen hohen Bedarf an niedrigschwelliger, spezialisierter Rechtsberatung für Alleinerziehende im Familienrecht. Die Rechtshotline der Stiftung Alltagsheld:innen wurde von rund 80 Prozent der befragten Proband:innen als (sehr) hilfreich beurteilt. Studienleiterin Thiessen: „Einige der Probandinnen hatten durch die Rechtshotline erstmals Kontakt zum Rechtssystem. Das zeigt, wie wichtig solche niedrigschwelligen Angebote sind.“

Die Kurzstudie wertet mit Hilfe eines Mixed Method Designs die Lebenssituation und daraus resultierende Beratungs- und Unterstützungsbedarfe von Nutzer:innen und Interessent:innen der kostenlosen Rechtsberatungshotline für Ein-Eltern-Familien der Stiftung Altagsheld:innen aus. Dazu wurden quantitative Daten von 131 rechtlich ratsuchenden Elternteilen erhoben, die entweder bereits Beratung durch die Rechtshotline erhalten hatten oder auf deren Warteliste eingetragen sind. Zudem wurden 14 vertiefte qualitative Interviews mit Elternteilen und zwei Expert:inneninterviews mit Anwält:innen der Rechtshotline durchgeführt.

Der Forschungsbericht steht sowohl unter DOI als auch hier zum Dowload bereit.